Anja Schulz

Das Rentenpaket I kommt

Für den 1. Juli 2022 steht das Inkrafttreten des Rentenpaket I an. Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag mehrere rentenpolitische Vorhaben festgehalten. Nun stehen die ersten kurz vor der Durchsetzung. Ich halte den vorliegenden Gesetzesentwurf zum Rentenpaket I für einen erfolgreichen ersten Schritt in Richtung unserer rentenpolitischen Ziele. Mit seinen drei Hauptelementen, der Erhöhung der Renten, der Reaktivierung des Nachholfaktors und der Verbesserung der Erwerbsminderungsrente im Bestand ist er nämlich vor allem eines: Fair.

Er ist fair gegenüber den Rentnerinnen und Rentnern, die uns durch ihre Arbeit in den letzten Jahrzehnten dahin gebracht haben, wo wir heute wirtschaftlich stehen. Er ist fair gegenüber jenen, die Erwerbsminderungsrente beziehen. Denn unsere solidarische Gesellschaft steht für jene ein, die aus eigener Kraft ihren Beitrag nicht mehr oder nur noch teilweise leisten können. Er ist auch fair gegenüber kommenden Generationen, denn auch ihre Belange werden in der Rentenanpassungsformel berücksichtigt.

Die 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner in unserem Land können sich auf ein üppiges Rentenplus freuen, im Westen ist es sogar das größte seit 40 Jahren. Im momentanen Kontext der Inflation, kommt diese Erhöhung auch gerade recht. Jetzt, wo mit jedem Blick auf einen Kassenzettel auffällt, dass wir in schwierigen Zeiten leben, ist diese Erhöhung so notwendig wie schon lange nicht mehr. Gerade mit Hinblick auf die Nullrunde im letzten Jahr.

Durch die Reaktivierung des Nachholfaktors, wird jedoch auch Acht darauf gegeben, dass Rentenpolitik nicht nur für Rentnerinnen und Rentner gemacht wird, sondern auch für deren Enkelkinder. Kurz erklärt: Die Renten sollen sich eigentlich im Gleichklang mit den Löhnen entwickeln. Die Renten steigen also mit den Löhnen. Durch die Rentengarantie wird allerdings verhindert, dass sie auch mit Ihnen fallen. Rentenkürzungen gibt es nicht. Um trotzdem den Gleichklang wiederherzustellen, wird der Nachholfaktor genutzt. Die eigentlich im Vorjahr erforderliche Rentenkürzung, durch gesunkene Löhne, wird also bei der nächsten Rentenerhöhung teilweise mit eingerechnet. Das sorgt dafür, dass die Renten den Löhnen nicht davon laufen. Es trägt maßgeblich dazu bei, dass das Finanzierungsproblem der Rentenversicherung nicht weiter ausufert, wovon wiederum zukünftige Rentnerinnen und Rentner profitieren werden. Was die ältere Generation besser stellt, darf der Jüngeren nämlich nicht auf die Füße fallen. Die Reaktivierung des Nachholfaktors ist eine Maßnahme in diesem Sinne.

Es werden viele Stimmen laut, die behaupten, dass jetzt nicht die richtige Zeit sei, um davon Gebrauch zu machen. Allerdings kann man Generationengerechtigkeit nicht einfach aussetzten und sich erst dann damit befassen, wenn es einem gerade in den Kram passt. Probleme die man beiseiteschiebt, fliegen einem irgendwann um die Ohren. Viel zu lange wurde diese Taktik beim Thema Rente verfolgt. Damit müssen wir endlich aufhören.

Der Nachholfaktor führt dieses Jahr im Westen zu einer Minderung der Rentenerhöhung um 0,62% (von 5,97% auf 5,35%). Im Durchschnittsgeldbeutel würde das wohl nicht einmal auffallen. In der Rentenkasse allerdings besonders: Die Rentenausgaben reduzieren sich dadurch bis 2025 um fast 15 Milliarden Euro. Das ist ein Beitrag zur nachhaltigen Finanzierbarkeit unseres Systems und es müsste eigentlich Einsicht darüber herrschen, dass wir ihn bitter nötig haben. Wenn man sich die rentenpolitischen Maßnahmen der letzten Jahre ansieht, zählt die Einführung des Nachholfaktors nämlich als eine stabilisierende Maßnahme. Ebenso die schrittweise Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre. Sie hat das System enorm entlastet.  Auf der anderen Seite gab es aber Maßnahmen, die zu einer zusätzlichen Belastung des umlagefinanzierten Systems führten. Beispielhaft zu nennen sind hierbei die Mütterrente II, die Rente mit 63, sowie die Einführung von Haltelinien und eben die Aussetzung des Nachholfaktors. Die Belastungen sind gegenüber Entlastungen also in der Überzahl. Die Reaktivierung des Nachholfaktors wird hier wieder für etwas mehr Gleichgewicht sorgen.

Eine weitere erfreuliche Maßnahme im Rentenpaket ist die Verbesserung der Erwerbsminderungsrente im Bestand. Sie ist eine enorme Erleichterung für eine der Gruppen in der Gesellschaft mit der geringsten Lobby für Ihre eigenen Belange. Neben der Erhöhung der Erwerbsminderungsrente im Zuge der Rentenanpassung 2022, die natürlich auch bereits in beträchtlicher Höhe ausfällt, soll es ab 2024 einen pauschalen Zuschlag für Bestandserwerbsminderungsrentnerinnen und -rentner geben. Wir sind sehr froh, dass es für alle Ampel-Parteien eine Selbstverständlichkeit war, hier nachzubessern und dass wir somit in Zukunft drei Millionen Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentner sowie auch jene, die mittlerweile in Altersrente sind, besser stellen zu können.

Neben den neuen Verbesserungen für Bestandsrentnerinnen und -rentner müssen wir aber auch in die Zukunft der Erwerbsminderungsrente blicken: Es ist erschreckend zu sehen, dass 41,5% der Erwerbsminderungsrenten im Jahre 2020 auf dem Diagnosegrund Psychische Erkrankungen entfallen. Das ist eine Verdopplung im Vergleich zu vor 25 Jahren. Die aktuellsten Zahlen hierzu, die auch die Folgen der Corona-Pandemie abbilden, kennen wir noch nicht einmal. Die Zukunft der Erwerbsminderungsrente, hängt also auch von Präventionsmöglichkeiten ab. Das Risiko, dass z.B. depressive Erkrankungen chronisch werden, steigt mitunter während der langen Wartezeit auf einen Therapieplatz stark an. Es ist kein Geheimnis, dass diese in Deutschland Mangelware sind. Gerade in ländlichen Gebieten sind nicht genug Praxen angesiedelt. Die Ampel-Koalition hat im Koalitionsvertrag verankert, dass sie sich diesem Problem in dieser Legislaturperiode widmen will, sodass in Zukunft viele Menschen gar nicht erst in die Erwerbsminderungsrente fallen.

Zukunft ist auch das Stichwort mit dem ich schließen möchte. Zukunft für unsere Rentenversicherung ist an stabilisierende Maßnahmen geknüpft. Der Nachholfaktor ist ein erster Schritt. Es muss aber mehr kommen. Die Aktienrente ist dafür das beste Konzept seit langem. Unsere Demografie arbeitet gegen unser Rentensystem, also müssen wir uns Schritt für Schritt unabhängiger von ihr machen. Lassen wir die zukünftigen Rentnerinnen und -Rentner am Produktivkapital teilhaben und zeigen wir jungen Menschen, dass auf unser Rentensystem doch Verlass ist. Sorgen wir dafür, dass aus einem Konzept ein rentenpolitischer Meilenstein wird.