Anja Schulz

Aufbruch finanzielle Bildung

Diese Woche ist wieder ‚Global Money Week‘. Eine Woche, in der die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) weltweit auf die Bedeutung von finanzieller Bildung für junge Menschen aufmerksam macht. Nicht mitbekommen? Nie davon gehört? Das geht Vielen so. Dabei jährt sich die GMW zum elften Mal. Der geringe Bekanntheitsgrad der OECD-Initiative ist letztlich symptomatisch für die Bedeutung von Finanzwissen und ökonomischer Bildung in Deutschland: Beides ist nach wie vor Nebensache.

Eine Online-Befragung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ergab im September letzten Jahres, dass 44 Prozent der Menschen den Zinssatz ihres Konsumkredites nicht benennen konnten. Laut Stiftung finanztip weiß jeder Zweite nicht, ab wann Dispozinsen anfallen. Quer durch das Land mangelt es den Menschen an fundamentalten Finanzkenntnissen.

Hinzu kommt, dass das Finanzwissen innerhalb der Bevölkerung unterschiedlich stark verbreitet ist. Gerade bei Frauen, älteren Menschen und Personen mit geringem Einkommen zeigen sich die größten Defizite.

Dabei ist das Thema von immenser Bedeutung: Wissenschaftliche Studien belegen: Menschen mit höherem Finanzwissen beschäftigen sich eingehender mit ihrer Altersvorsorge, beteiligen sich eher am Aktienmarkt und bauen im Laufe ihres Lebens ein höheres Vermögen auf. Anders gesagt: Ökonomische Bildung macht finanziell unabhängig, gibt die Möglichkeit, materielle Träume zu erfüllen und reduziert die Gefahr von Altersarmut. Sie leistet also einen entscheidenden Beitrag für individuelles persönliches Wohlergehen – in Gegenwart und Zukunft.

Nun sind die wissenschaftlichen Befunde nicht neu – ebenso wie die Debatte um das Thema. Diese dreht sich in Medien und Politik seit Jahren um die Finanzbildung in der Schule. Bereits 2008 waren sich die Kultusminister einig: Ökonomische Bildung sei „ein unverzichtbarer Bestandteil der Allgemeinbildung“. Getan hat sich seitdem herzlich wenig: Erst zum Schuljahr 2016/17 führte Baden-Württemberg das Pflichtfach Wirtschaft ein. Nordrhein-Westfalen folgte vier Jahre später. Auf die Besonderheiten des deutschen Bildungsföderalismus soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Nur so viel: An unseren Schulen muss ein bedeutender Grundstein für finanzielle Bildung gelegt werden.

Denn Finanzwissen ist zu wichtig, um allein auf den Erkenntnissen aus dem familiären Umfeld und eigenen Alltagserfahrungen zu beruhen. Daher braucht es einheitliche, systematische und institutionalisierte Bausteine. Es braucht eine nationale Finanzbildungsstrategie, eine zentrale Finanzbildungsplattform sowie die Stärkung der Forschung zum Thema. Nur so können wir finanzielle Bildung nachhaltig innerhalb der Bevölkerung verankern.

Auf Bundesebene haben wir die Zeichen der Zeit erkannt. Daher werden Finanzminister Lindner und Bildungsministerin Stark-Watzinger diese zentralen Punkte in den kommenden Monaten angehen.

Denn im internationalen Vergleich haben wir hier Nachholbedarf: Als eins der wenigen OECD-Länder hat Deutschland bislang keine nationale Finanzbildungsstrategie entwickelt – obwohl die europäische Kommission und die OECD das seit Langem empfehlen.

Damit einhergehend fehlt es auch an aussagekräftigen Untersuchungen zum aktuellen Status quo. Wo stehen wir? Wo gibt es Lücken? Welche Herausforderungen und Bedarfe zeichnen sich (heute und künftig) ab? Erst nach Klärung dieser Fragen können wir konkrete Handlungsempfehlungen ableiten (was sollte gelehrt werden?) und Maßnahmen zur Sicherung der Qualität der Förderung von finanzieller Bildung vornehmen.

Da das Thema finanzielle Bildung unterschiedlichste Politikbereiche tangiert, etwa Bildung, Finanzen, und Verbraucherschutz, müssen alle relevanten Stakeholder sinnvoll eingebunden werden. Als Beispiel kann uns hier Österreich dienen. Gemeinsam mit der Europäischen Kommission, der OECD und einer Vielzahl nationaler Institutionen hat unser Nachbar Ende 2021 eine nationale Finanzbildungsstrategie vorgestellt, die seitdem implementiert wird.

Während uns eine Finanzstrategie also aufzeigt, wo Lücken bestehen bzw. wie es um den aktuellen Lernstand im Land steht, müssen wir uns auch der Frage stellen, wo (sprich an welchem Lernort) und wann (sprich zu welchem Zeitpunkt im Leben) wir finanzielle Bildung vermitteln wollen.

Und damit wären wir wieder beim Thema Schule. Indem wir das Wissen über unser Finanz- und Wirtschaftssystem in den Schulunterricht integrieren, machen wir es für alle Menschen zugänglich. Auch für jene Kinder, deren Eltern mangels eigener Kenntnisse nicht weiterhelfen können. Denn dieses Wissen steht allen zu. Hier bedarf es geschulter Lehrkräfte und einer angemessenen Einbindung in den Lehrplan. Ansonsten droht Überforderung und Überfrachtung. Denkbar wäre die Einrichtung von AGs, die Schülerinnen und Schüler ab einem bestimmten Jahrgang freiwillig belegen können. Das schafft Entlastung für das Lehrpersonal und belegt zugleich die intrinsische Motivation der Schüler und deren Durst nach Wissen zum Thema. Wie bei der Rentenversicherung könnten auch in den AGs externe Experten, auf ehrenamtlicher Basis, zum Thema beraten.

Finanzbildung ist aber nicht auf einen Lebensabschnitt beschränkt. Es ist vielmehr ein lebenslanger Prozess. Denn oft werden finanziell relevante Entscheidungen zu Beginn des Berufslebens oder in der Mitte des Lebens getroffen, etwa wenn der Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung in Betracht kommt oder ein Ehevertrag geschlossen werden soll. Man spricht hier von sogenannten ‚teachable moments‘. Für diese können wir in der Schule nur schwer auf Vorrat lernen. Daher braucht es eine zentrale Finanzplattform, die Finanzbildungsangebote bündelt und für die Bedürfnisse unterschiedlicher Nutzerinnen und Nutzer in adressatengerechten Formaten bereitstellt.

Weil die Qualitätssicherung bei allen künftigen bildungspolitischen Maßnahmen von wesentlicher Bedeutung ist, wollen wir die Kommission und OECD in die nationalen Planungen einbinden und die Forschung zum Thema stärken. Denn nur so verbessern wir die Datengrundlage. Nur so können wir sicherstellen, dass die Maßnahmen evidenzbasiert, inhaltlich korrekt, transparent und ausgewogen sind.

Dieser Dreiklang aus Strategie, Plattform und Forschung kann dazu beitragen, aus der eingangs erwähnten Nebensache eine elementare Grundlage für finanzielle Unabhängigkeit und mündige Finanzentscheidungen zu machen. Und wer weiß, vielleicht ist dem einen oder anderen dann künftig auch die erwähnte Initative ‚Global Money Week‘ ein Begriff.

 

Zu diesem Thema erschien am 23.03.23 ein gemeinsamer Gastbeitrag mit meiner Kollegin Ria Schröder auf watson.de