Anja Schulz

Die Rente wird es nicht richten

Wer uns Freie Demokraten kennt, der weiß, dass wir gerne einen Blick über den Tellerrand werfen. Wir orientieren uns an den Kanadiern, wenn es um erfolgreiche Fachkräfteeinwanderung geht, beneiden Estland um ihre digitale öffentliche Verwaltung, und haben uns von den Schweden von einer echten Aktienrente überzeugen lassen. Best Practices gibt es viele, aber nicht jede passt zu Deutschland. Viele Länder, vor allem unsere Nachbarn, teilen aber Probleme, die uns auch umtreiben. Auch die Tragfähigkeit der Sozialversicherungen in einer alternden Gesellschaft beschäftigt nicht nur uns. Warum also sollten wir erprobte Lösungsansätze hierfür auf der Straße liegen lassen?
 

Die Niederländer machen es vor

Niederländische Senioren haben im Rentenalter fast genauso viel Geld zur Verfügung wie im Berufsleben. Ihre Alterseinkünfte entsprechen im Schnitt fast 90 % ihres vorherigen Einkommens. Darüber können sich deutsche Rentner mit einer durchschnittlichen Ersatzquote von 53 % nur die Augen reiben. Wie machen unsere Nachbarn das also?

Die Niederländer halten ihren Lebensstandard nicht allein durch die gesetzliche Rente. Sie entspricht dort eher einer Art Grundsicherung im Alter, die nicht einmal die Hälfte des Einkommens im Alter ausmacht. Die Altersarmut bekämpfen sie nicht mit einer Umlagefinanzierung, sondern in Zusammenarbeit mit ihren Arbeitgebern. Die betriebliche Altersvorsorge ist in den Niederlanden flächendeckend verbreitet. Das zeigt enorme Wirkung. Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge von über 90 % zeigt enorme Wirkung. 

Das Risiko, in Altersarmut zu geraten, ist in Deutschland dreimal so hoch wie in den Niederlanden. Das liegt vor allem daran, dass hierzulande zu viele Menschen im Alter allein mit ihrer Rente planen. Damit verlassen sie sich auf ein System, das durch schwindende Beitragszahler und steigende Ausgaben jetzt schon unter finanziellem Hochdruck steht. Der Blick ins Ausland lehrt uns also vor allem: Legen wir nicht alle Eier in einen Korb. Die besten Altersvorsorgesysteme können nur in Kombination mit guten Betriebsrenten funktionieren. 
 

Betriebliche Altersvorsorge besonders für kleine Betriebe schwierig

Doch von Flächendeckung sind wir hierzulande meilenweit entfernt. In Deutschland hat im Schnitt lediglich jeder Zweite im Rentenalter Anspruch auf eine Betriebsrente. Ob man dazugehört, entscheidet in der Regel die Betriebsgröße. Bei Firmen mit mehr als 1000 Beschäftigten sorgen fast alle betrieblich vor. Bei kleinen und mittelständischen Unternehmen sind es nicht einmal die Hälfte. Letztere machen allerdings 99 % aller Betriebe in Deutschland aus. Die Mitarbeiter bei der Altersvorsorge zu unterstützen, ist gerade für kleine Betriebe durch fehlende Kenntnisse nicht nur aufwändig, sondern durch die Arbeitgeberhaftung für die Höhe der Betriebsrenten ein nicht zu vernachlässigendes finanzielles Risiko. Größere Betriebe können diese Herausforderungen allein schon personell viel besser stemmen.

In Zeiten des Fach- und Arbeitskräftemangels ist die betriebliche Altersvorsorge längst zu einem entscheidenden Vorteil im Wettbewerb um Mitarbeiter geworden. Wie aber soll eine kleine Hausarztpraxis mit einem Universitätsklinikum konkurrieren, wenn sie neues medizinisches Fachpersonal sucht?

Das Sozialpartnermodell setzt falsch an

Das 2018 von der Großen Koalition durch das Betriebsrentenstärkungsgesetz eingeführte Sozialpartnermodell setzt bei einigen Punkten schon ganz richtig an. Die Möglichkeit der reinen Beitragszusage und der damit verbundene Wegfall der Garantien soll durch flexiblere Anlagemöglichkeiten zu höheren Erträgen für die Arbeitnehmer führen. Die Aufhebung der Arbeitgeberhaftung macht das Angebot einer guten betrieblichen Altersvorsorge risikoärmer und somit attraktiver. Eine Win-Win-Situation.

An dem entscheidenden Ziel, der stärkeren Durchdringung der betrieblichen Altersvorsorge, ist das Sozialpartnermodell aber schon in dem Moment gescheitert, als es zu Papier gebracht wurde. Da es nur von tarifgebundenen Unternehmen und Branchen genutzt werden darf, ist der Löwenanteil der Betriebe in Deutschland außen vor.

Jeder Arbeitnehmer, dessen Beschäftigungsverhältnis durch einen Tarifvertrag geregelt ist, hat in der Regel schon heute eine gute betriebliche Altersvorsorge. Das Sozialpartnermodell nimmt also nicht die richtige Zielgruppe ins Visier. Denn gerade Frauen und Geringverdiener, also jene, die von Armutsgefährdung im Alter am stärksten betroffen sind, unterliegen seltener einer Tarifbindung.

Das Sozialpartnermodell  änderte bei der betrieblichen Altersvorsorge also nichts am „ob“, sondern lediglich am „wie“. Dass hier so viel Potenzial verschenkt wurde, hat uns Freie Demokraten schon bei der Einführung enttäuscht. Daher setzen wir uns nun, in Regierungsverantwortung, für die Öffnung des SPM für nicht-tarifgebundene Unternehmen und Branchen ein. Sie sollten für die Regelung der Betriebsrente auf bestehende Tarifverträge aufsatteln können erstmals die Möglichkeit bekommen, eine für sie zu stemmende betriebliche Altersvorsorge anzubieten.

Dabei ist es vor allem wichtig, dass dafür nicht die Einschlägigkeit des Tarifvertrags zur Grundlage genommen wird. Gerade bei den Angestellten der Freien Berufe wäre ein Zusammenschluss der verschiedenen Zweige wie pharmazeutisch-technische Assistenten, Arzthelfer und Rechtsanwaltsfachangestellte etc. unter dem Tarifvertrag einer dieser Berufe die naheliegendste Lösung. Insgesamt vereinen sie ca. drei Millionen Mitarbeiter, durch deren Einbeziehung in ein Sozialpartnermodell  ein bemerkenswertes Kapitalvolumen zur Verfügung stünde. Das wiederum geht mit niedrigen Kosten und guten Renditechancen einher. Im Sinne derjenigen, denen so eine Betriebsrente ermöglicht werden kann, darf das Bundesarbeitsministerium nicht wieder blockieren, sondern es muss Wegbereiter werden. 

Vorsorgedepot als Lösungsansatz

Betriebsrente breiter denken bedeutet auch, offen für neue Ideen zu sein. Das starre Säulendenken ist vor allem für Kleinstbetriebe hinderlich. Warum diese also nicht vom bürokratischen Aufwand entlasten? Unternehmen ohne eigene Strategie zur betrieblichen Altersvorsorge, und mit weniger als zehn Mitarbeitern, sollten die Chance erhalten, ihre Angestellten über Beiträge zu deren privater Altersvorsorge zu fördern. Wir Freie Demokraten haben uns jüngst dafür ausgesprochen, ein solches Vorsorgedepot zu etablieren. Die Arbeitnehmer können so frei diejenige Anlageform wählen, die am besten zum eigenen Lebensentwurf passt. Der Arbeitgeber steuert hierzu nur seinen Teil bei und spart sich selbst den bürokratischen Aufwand. Wieder eine Win-Win-Situation.

Die gesetzliche Rente steht auf wackligen Beinen. Betrieblich vorzusorgen ist daher schon lange keine besondere Zusatzleistung mehr, sondern absolute Notwendigkeit. Zur Ehrlichkeit in der Debatte um unser System gehört daher auch die Bereitschaft, Änderungen an den Stellen vorzunehmen, an denen sie uns voranbringen können. Gerade bei der Öffnung des Sozialpartnermodells können wir mit dem Dreh an den richtigen Stellschrauben sehr viel bewirken. Sorgen wir also dafür, dass die betriebliche Altersvorsorge zum Standard für jeden Beschäftigten wird.