Anja Schulz

Unser Rentensystem: Eine Problemanalyse

Quelle: FDP Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2021

Aktuell wird wieder viel über die Gesetzliche Rente diskutiert. Die sich verschärfenden Finanzierungslücken sind lange bekannt, doch es wurde viel zu oft über das Problem hinweg gesehen. Nun häufen sich wieder Lösungsvorschläge, und die Freien Demokraten haben mit dem Generationenkapital einen sehr innovativen im Koalitionsvertrag verankern können. Doch warum brauchen wir überhaupt all diese Lösungsansätze, und woher kommen die Finanzierungsprobleme der gesetzlichen Rentenversicherung überhaupt?

Ein kurzer Ausflug in die Geschichte: Das Gesetzliche Rentensystem besteht eigentlich schon seit 1889 und wird im Jahr 1957 zu der Rentenversicherung reformiert, die wir heute kennen. Die Umstände damals sind prekär, die gesetzliche Rente reicht für kaum mehr als ein Zubrot. Von einer Lohnersatzfunktion konnte damals nicht ansatzweise die Rede sein. In der Nachkriegszeit war die Altersarmut jedoch stark verbreitet und stellte die damalige Regierung vor eine große Aufgabe. So wurde die gesetzliche Rente im Jahr 1957 reformiert, sodass mit Inkrafttreten das Rentenniveau um 60% erhöht werden konnte. Möglich wurde dies durch die Einführung der Umlagefinanzierung. So zahlten ab dann die aktuellen Erwerbstätigen die Renten der aktuellen Rentnerinnen und Rentner. Dieser Ansatz wurde damals schon sehr kritisch beäugt, aber der damalige Kanzler soll die Kritik damals mit dem Satz „Kinder kriegen die Leute immer“ abgetan haben. Das System funktionierte am Anfang auch auf Anhieb gut, denn die damalige Bevölkerungsstruktur war für die Umlagefinanzierung sehr vorteilhaft. Damals standen Erwerbstätige und Ruheständler im Verhältnis 6:1 und jede Frau bekam im Schnitt 2,3 Kinder. Männer wurden im Schnitt 66 alt und Frauen 72 Jahre alt, und man bezog seine Rente ca. 10 Jahre lang.

Diese Rahmenbedingungen haben sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Aktuell kommen 1,8 Erwerbstätige für einen Rentner auf. Dieses Verhältnis wird sich in den kommenden Jahrzehnten noch weiter verschlechtern. Hierfür gibt es zwei Gründe: Erstens kommen viel zu wenige Erwerbstätige nach, denn die Geburtenziffer in Deutschland hat sich in den letzten Jahren bei 1,55 Kinder pro Frau eingependelt. Zweitens vergrößert sich der Kreis der Rentnerinnen und Rentner, und das sogar durch zwei Faktoren. Die Lebenserwartung steigt kontinuierlich an, zuletzt (2017) auf 83,2 für Frauen und auf 78,4 Jahren für Männer. Damit steigt logischerweise auch die Rentenbezugsdauer, die aktuell bei 20,5 Jahren liegt. Sie hat sich also seit der Rentenreform 1957 verdoppelt. Außerdem gibt es auch einfach mehr Ruheständler, da zunehmend mehr geburtenstarke Jahrgänge in Rente gehen. Aktuell beziehen 21 Millionen Menschen in Deutschland eine Rente. In den kommenden Jahren werden aber die geburtenstarken sogenannten Baby-Boomer-Jahrgänge in das Rentenalter kommen. Somit gehen nicht nur dem Arbeitsmarkt bis in das Jahr 2035 sieben Millionen Arbeitskräfte verloren, sondern sie erweitern den Kreis der Rentnerinnen und Rentner. Kurzgefasst müssen die Erwerbstätigen für immer mehr Rentnerinnen und Rentner aufkommen, und zwar auch für eine immer längere Rentenbezugsdauer.

So erklärt es sich auch, dass die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland sich aktuell auf einem Rekord-Hoch befindet, aber deren Beiträge trotzdem nicht reichen, um für die Rentenzahlungen aufzukommen. Weil sich diese Entwicklung seit langer Zeit anbahnt, ist schon seit Jahrzehnten ein Bundeszuschuss aus Steuermitteln nötig, um die Rentenkasse zu stützen und die reibungslose Auszahlung der Renten zu ermöglichen. Im Jahr 2020 betrug dieser Zuschuss erstmalig mehr als 100 Mrd. Euro. Bei einem Gesamtvolumen der Rentenausgaben im Jahr 2021 von 346 Mrd. Euro macht der Bundeszuschuss einen sehr beträchtlichen Anteil aus. Also bereits heute kommt jeder dritte Euro nicht aus der Umlagefinanzierung, sondern aus Steuermitteln. Das ist aus mehreren Gründen problematisch. Zuerst einmal bedeutet das, dass die Erwerbstätigen die Rentenkasse nicht nur durch ihre Beiträge finanzieren, sondern auch durch ihre Steuern. Das ist vor allem kritisch zu sehen in Bezug auf Personengruppen wie z.B. Selbstständige, die durch ihre Steuern einen Altersvorsorgesystem finanzieren, aus dem sie eventuell selbst nie eine Auszahlung erhalten werden. Wenn wir aber den größeren Rahmen betrachten, dann sehen wir hier noch ein viel größeren Problem: Der Bundeszuschuss an die Rentenversicherung macht jetzt schon ein Viertel des aktuellen Volumens des Bundeshaushaltes aus. Schon heute schränkt diese Ausgabe also die finanziellen Spielräume des Bundes ein. Laut Prognosen scheint es aber unmöglich, dass der Bundeszuschuss irgendwann wieder nur zweistellig werden könnte. Eher im Gegenteil. Denn die Bundesregierung hat sich vorgenommen, die doppelte Haltelinie fortzuschreiben. Das bedeutet, dass das Rentenniveau dauerhaft bei mindestens 48% liegen muss, und der Beitragssatz bis 2025 nicht über 20% steigen darf. Laut einer Berechnung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie aus dem Jahr 2021 wären um diese beiden Konditionen dauerhaft einzuhalten, ein Bundeszuschuss von mehr als 260. Mrd. Euro nötig. Das wären 60% des Bundeshaushaltes. Dieses Szenario muss also unter allen Umständen vermieden werden.

Die Haltelinien aufzugeben ist aber auch keine wirkliche Option, denn das Rentenniveau bei minimal 48% zu halten trägt einen wichtigen Teil zur Vermeidung von Altersarmut bei. Auch die Beiträge zur Rentenversicherung können nicht unbegrenzt steigen. Die Abgabelast für die Sozialversicherung ist sowieso in Deutschland bereits sehr hoch und muss auch immer als Ganzes betrachtet werden. Auch vor Pflege-und Krankenversicherung macht der demografische Wandel nicht halt. Auch dort sind in den nächsten Jahren steigende Beiträge zu erwarten. Dabei dürften die Gesamtbeiträge die kritische Marke von 40% (Arbeitgeber-und Arbeitnehmeranteil) eigentlich nicht überschreiten.

Wenn das Gesetzliche Rentenversicherungssystem aber nicht langfristig reformiert wird, wird prognostiziert, dass eine Absenkung des Rentenniveaus, das Anheben des Beitragssatzes und des Bundeszuschusses, unumgänglich sind. Statt hier entgegenzusteuern, hat die Vorgängerregierung mit Wahlgeschenken für die Generation 60+, wie die Rente mit 63 oder die Mütterrente, das Finanzierungsproblem jedoch nur verschärft. Mit dem Generationenkapital wollen wir nun endlich eine solide Stütze für unsere Rentenkasse aufbauen, die ab Ende der 2030er Jahre für eine Stabilisierung des Beitragssatzes sorgen wird. Denn wir schulden es der Generation der aktuellen Berufsanfänger und ihren Nachfolgern, dass auch sie bei der Gesetzlichen Rente mitgedacht werden, und nicht nur dafür bezahlen müssen.

Was das Generationenkapital genau ist, und wie es funktioniert, habe ich in diesem Artikel bereits ausführlich besprochen: Das Generationenkapital der GRV - was stimmt und was nicht (fdpbt.de)